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Brennpunkt / Radprojekt Friedrichstraße: Kann Berlin autofrei?
Ein Abschnitt der Berliner Friedrichstraße wurde für Autos gesperrt. Danach kamen sich Fuß- und Radverkehr ins Gehege. Die Hintergründe auf einen Blick.
- Auf einen Blick
Eine Idee kann fortschrittlich sein und sich dennoch nicht durchsetzen. So geschehen auf der Friedrichstraße in Berlin. Ein viel beachtetes Projekt mit Modellcharakter sollte in repräsentativer Lage Berlin autofrei machen und das Nebeneinander von Fuß- und Radverkehr fördern. Nach zwei Jahren der Praxiserprobung erwies sich der Plan jedoch als dauerhaft nicht durchführbar. Lies aus welchen, zum Teil überraschenden, Gründen die Friedrichstraße auf diesem Abschnitt erst zur reinen Fußgängerzone, dann wieder für den Autoverkehr freigegeben wurde und welche Radprojekte die Bundeshauptstadt außerdem verfolgt.
„Berlin autofrei“ – Beginn einer Verkehrswende?
Moderne urbane Stadtentwicklungs- und Mobilitätskonzepte priorisieren Werte wie Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit, Ressourcenschonung und individuelles Wohlbefinden. Verkehrsinfarkte in der Rushhour, an Ampeln vor sich hin qualmende Verbrennungsmotoren und sich Stoßstange an Stoßstange durch Wohnviertel wälzende Fahrzeugkolonnen sollen zumindest in den Innenstädten bald der Vergangenheit angehören. Die Forderung nach autofreien Städten setzt auf den öffentlichen Personennahverkehr und auf das Fahrrad. In Berlin gibt es die Initiative „Berlin autofrei“, die über ein Volksbegehren eine vom privaten Autoverkehr befreite Stadt innerhalb des S-Bahn-Rings herbeiführen wollte. Daraus wurde erst einmal nichts. Derweil scheiterte auch ein früherer Versuch, mit der Friedrichstraße eine Zone ohne Autos zu schaffen, die als Blaupause für weitere Projekte hätte dienen können.
Autofreies Berlin: Das Modellprojekt Friedrichstraße
Die Hoffnungen waren groß: Regine Günther (Grüne), 2020 Berliner Verkehrssenatorin, hatte einen Plan entwickelt, wie sich die belebte Friedrichstraße in einen abgasfreien Verkehrsweg der Entschleunigung und Klimafreundlichkeit umwandeln ließe – ohne Autoverkehr. In einem Abschnitt zwischen der Französischen Straße und der Leipziger Straße wurde das Konzept „Berlin autofrei“ medienwirksam am Beispiel einer beliebten Einkaufs- und Flaniermeile ausprobiert. Der einstige Ur-Berliner Boulevard wurde zur kombinierten Rad- und Fußgängerzone. Wo zuvor Autos rollten, standen nun Pflanzenkübel und dekorative Wasserelemente. Ein breiter Fahrstreifen in der Straßenmitte leitete den Radverkehr komfortabel wie nie zuvor Richtung Unter den Linden. Nur Fußgänger und vor allem Radfahrende bestimmten die Szenerie des Modellprojekts.
Autofreies Berlin: Die andere Seite der Medaille
Berlin autofrei zu machen – zumindest auf einer seiner Vorzeigestraßen – hatte allerdings auch Schattenseiten, die sich nicht unbedingt alle vorhersehen ließen. Mit den Autos verschwanden in der nun still gewordenen Friedrichstraße auch Einzelhandelsgeschäfte und Luxusboutiquen. Keine Kunden – kein Geschäft. Anfangs soll die Friedrichstraße als Einkaufsmeile sogar den Ku’damm überflügelt haben, dann ging die Kundenfrequenz zurück. Einzelhändler protestierten über die Umwidmung. Der Charme der belebten Flaniermeile – einer der großen Boulevards Deutschlands – war sichtbar verloren gegangen. Stattdessen standen nun Sitzgelegenheiten und Vitrinen auf dem Asphalt, was Roland Stimpel, Vorsitzender des Fachverbands Fußverkehr Deutschlands, zu der süffisanten Bezeichnung „Radweg mit Straßenmöbeln“ verleitete. Aber dieses Schwinden der Anziehungskraft für Flaneure war es nicht einmal, was das Projekt autofreie Friedrichstraße nach zwei Jahren zum Fehlschlag werden ließ. Denn die als selbstverständlich angenommene Harmonie zwischen Radfahrenden und all jenen, die lieber zu Fuß gehen, hat offenbar nur in den Köpfen des Planungsteams bestanden.
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Autofreies Berlin: Räder und Füße vertragen sich nicht
Eine Umfrage des ADAC ergab 2021, dass sich Fußgänger erstaunlicherweise mehr von Fahrrädern als von Autos gestört fühlen – obwohl über zwei Drittel der Unfälle von Fußgängern mit Kraftfahrzeugen passieren und nur 20 Prozent mit Fahrrädern. Für Unmut sorgen Rücksichtslosigkeiten, willkürlich beachtete Verkehrsregeln und das Auftauchen von Fahrrädern dort, wo Passanten ihre Domäne haben, beispielsweise auf Fußwegen. So war es auch auf der verkehrsberuhigten Friedrichstraße regelmäßig zu Spannungen zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“ gekommen. Wie die Praxis zeigte, wollen zwangloses Flanieren und Durchgangsradverkehr nicht recht zusammenpassen. Radfahrende, die sich sonst gegenüber den Autos als schwache und verletzliche Teilkraft des Straßenverkehrs erleben, mussten in der Friedrichstraße erfahren, dass es noch schwächere und mit der Situation unzufriedenere Verkehrsteilnehmer gab. Berlin autofrei zu machen war damit eine Rechnung, die im Verkehrssenat ohne die Fußgänger gemacht wurde.
Autofreies Berlin: Die Autos rollen wieder
Bettina Jarasch (Grüne), die jetzige Berliner Senatorin für Mobilität, löste das Dilemma, indem sie den Radverkehr über die parallel zur Friedrichstraße verlaufende Charlottenstraße umleitete. Auch diese gehört zur Idee „autofreies Berlin“ – als Fahrradstraße lässt sie keine Kraftfahrzeuge zu, das Flanieren allerdings auch nicht. Die Friedrichstraße sollte in eine Fußgängerzone verwandelt werden. Dann gab im November 2022 das Verwaltungsgericht der Klage einer Weinhändlerin Recht und erklärte die Sperrung für den Autoverkehr für rechtswidrig. Die erstaunliche Begründung: Die Nutzung von Straßen dürfe für mehr Verkehrssicherheit eingeschränkt werden, nicht aber für ein Plus an Aufenthaltsqualität. Mit der Rückkehr des Autoverkehrs verschwanden auch alle Fahrradmarkierungen auf dem Asphalt, Pflanzen und Sitzgelegenheiten.
Autofreies Berlin: Die Fahrradstadt an der Spree
Mag der ambitionierte Traum von der friedlichen Koexistenz von Rad und Fuß zumindest in der Friedrichstraße vorerst geplatzt sein – anderswo im Berliner Stadtgebiet entwickelt sich die Verkehrswende hin zum Fahrrad unaufhaltsam und wohl mit deutlich mehr Erfolg:
- Das Radnetz der Bundeshauptstadt umfasst 1.377 Kilometer an Radwegen, 167 Kilometer Schutzstreifen und 91 Kilometer Radfahrstreifen. Die Berliner Verkehrsverwaltung möchte weite Teile Berlins autofrei machen, indem der Radverkehr bis 2030 weiter angehoben und einen Anteil von 23 Prozent aller Wege in der Stadt haben soll (derzeit 18 Prozent).
- Berlin forciert das Projekt „Radschnellwege“ als Alternative zum Autofahren. 100 Kilometer dieser Schnellstrecken sollen einmal das Stadtgebiet durchziehen.
- Vom Reuterkiez in Berlin-Neukölln bis zur S-Bahnstation Sonnenallee soll die Weserstraße bis 2024 zur autofreien Fahrradstraße umgebaut werden – mit 2,5 Kilometern die längste Berlins.
- Parallel wurde der Bau von bis zu 13 Fahrrad-Parkhäuser geplant, etwa am Ostkreuz oder an den Bahnhöfen Zehlendorf und Mahlsdorf.
- 2022 begannen die Arbeiten an der Errichtung des Radwegs „Opernroute Nord“ quer durch Berlin-Charlottenburg.
- Die als gefährlich für den Radverkehr eingeschätzte Torstraße erhält bis 2027 einen von der Fahrbahn abgetrennten Radweg.
- Im Zuge der Neugestaltung des Boulevards Unter den Linden sollen künftig die Interessen der Radfahrenden mehr berücksichtigt werden.